W 60 — Fallsucht und Schwammsanierung
Unser Haus ist ein Haus des Zuwachses. Rund ein Drittel unserer Hausbewohner sind Kinder im Alter von „ganz frisch“ bis zu 16 Jahren.
In den 105 Jahren seiner Existenz hat unser Haus sicher schon viele Kinder gesehen – aber sicher nicht so viele auf einer Dachterrasse, die wir leider erst in diesem Jahr mit einem richtigen Fußboden ausstatten können. Wir hatten bisher weder Zeit noch Geld, den Luxus Gemeinschaftsterrasse fertig zu stellen.
In der Bauzeit hat unsere Stimmung viele Tiefpunkte erreicht. Das Ausmaß des Schwammbefalls und die damit verbundenen Arbeiten zehrten an Nerven und Muskeln beim Aufnehmen der Dielen, Abtragen der Schüttung und Schleppen der Eimer. Es gab wohl bei vielen einen Moment der Hoffnungslosigkeit, wenn man nur abreißt und den Schuttcontainer füllt. Ich konnte im vorletzten Sommer von unserer Wohnung (ich wohne im Dachgeschoss ) in unseren Keller schauen. Bis auf ein paar Balken fehlte dazwischen alles! Ein Streit um Baukosten und Bauausführung mit unserem ersten Architekturbüro WOF! aus der Göhrener Straße, der Anstieg der Baukosten und Gezänk auf der Baustelle machten es den alten Selbsthelfern schwer, die Hoffnung zu bewahren und den neuen Selbsthelfern schwer, sie zu erlangen. Doch mit dem Wechsel zu der Architekten (zu Scholz und Son), dem ersten Richtfest und den ersten eingebrachten Schüttungen kehrte die Arbeitslust zurück.
Dennoch blieb unser Haus nicht vor kleineren Katastrophen verschont. Eine gewisse Fallsucht schlich sich unter die Selbsthelfer. Stoppel fiel in einen offenen Graben, Gabriele von einer Kiste, eine Gerüststange beinah auf einen Kopf und eine Wand auf Roxana und mich. Unser Multicar überlebte mehrere Anschläge auf seine Reifen. Zehn Kubikmeter Wasser, die wegen einer falschen Installation Ostern 2002 ausliefen, konnten wir wieder aus der Wohnung von Karsten und Ute und Keller entfernen. Den Ausfall der Heizung und der Warmwasserbereitung Weihnachten 2002 konnten wir durch Aktivierung unseres Genossen Marco meistern. Die zuständige Firma war nicht erreichbar. Da sich derlei Unglücke an den Feiertagen signifikant häufig zeigen, erwarten wir mit Spannung die nächsten Osterfeiertage!
Mit der Bauausführung einiger Mitarbeiter der Fachfirmen sind eine Reihe Selbsthelfer unzufrieden. Manche Trockenbauer verzichteten konsequent auf das Anlegen eines rechten Winkels. Manche Diele wollte mal ein Rundholz werden und manche Heizung wird nur im Sommer warm — wenn die Sonne drauf scheint. Doch unser weitaus größtes Problem ist die ausstehende Selbsthilfe. Alle Versuche, die ausstehenden Schulden einzutreiben, sind bisher gescheitert.
Unser Haus ist aber nicht nur ein Haus des Zuwachses. Unser Haus ist auch ein Haus der jungen Talente (wenn man jung etwas großzügiger definiert). Wenn ich die Treppe zu meiner Wohnung hoch steige, dann höre ich die Posaune von „Schudi“ Schudack in der zweiten Etage. Wird die Blasmusik leiser, kann ich auf dem Weg nach oben die Gitarre von Tom (dritte Etage) hören. Vorbei an der vierten Etage (ich höre Kirstin Marias Bratsche) überlege ich mir, ob ich im Westflügel unserer Wohnung Bernhards Klavierspiel oder Lutz‘ (vierte Etage Quergebäude) Trompete im Ostflügel lauschen sollte. Ich entscheide mich aber dann für AC/DC von Mike (Dachgeschoss Quergebäude) auf der Terrasse. Da aber vom Nachbargrundstück die Lüftung rauscht wie ein Orkan, schließe ich meine Augen und träume, ich wäre am Meer.
Die Schwammsanierung kostete viel Anstrengungen; hatte aber auch einen
„archäologischen“ Nebeneffekt. Wir fanden viele Zeitungsreste (am
häufigsten den „Vorwärts“ von der SPD), kaputte Bierflaschen (Brauerei
Stralau) und viel, viel einfachen Hausschwamm.
Wenn dann im Frühjahr unser Hof begrünt wird und der letzte Selbsthelfer
zufrieden auf das Haus und Hof schauen kann, werden wir in einem großen
Feuer unsere Arbeitskleider verbrennen und singend und musizierend ums
Feuer tanzen!
Sascha Schneider
Bauzeit: 2001 bis 2003.